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Helga König und Simone Langendörfer im Gespräch mit Pater Dr. Anselm Grün, Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach

Lieber Pater Dr. Anselm Grün, Sie sind Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und nicht nur ein ganz besonders erfolgreicher Autor, sondern auch Seelsorger, spiritueller Berater und geistlicher Begleiter, dessen Vorträge jährlich von mehreren zehntausend Menschen besucht werden. Auf "Buch, Kultur und Lifestyle"  haben Sie bereits  zu einigen Ihrer wunderbaren  Bücher Interviews gegeben und  die Leser damit  nachdenklich gestimmt.

Diesmal ein nun ein ganz aktuelles, sehr brisantes Thema: 

Helga König:  Werden Kinder heute extrem auf Leistung "gedrillt“"und falls ja, wodurch entsteht dieser Leistungsdruck?


 Pater Dr. Anselm Grün
Pater Dr. Anselm Grün: Zum einen gibt es in der Schule einen ziemlichen Leistungsdruck. Aber oft genug sind es die Eltern, die den Leistungsdruck noch erhöhen, nicht nur, indem sie gute Noten erwarten, damit das Kind studieren kann, sondern auch indem sie das Kind noch bei vielen anderen Schulungen anmelden: Ballett, Musikschule, Reiten, Tanzen usw. Kinder haben schon einen Terminkalender, der dem von Erwachsenen gleich kommt. 

Simone Langendörfer: Was heißt für Sie Kindsein und meinen Sie, dass "Kindsein" in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts einfacher war? 

Pater Dr. Anselm Grün: Kindsein heißt für mich, zweckfrei einfach da zu sein, spielend sich selbst zu erfahren und die Welt wahrzunehmen. Im Spielen entfaltet das Kind seine Kreativität. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es sicher leichter, Kind zu sein. Wir hatten viel mehr Möglichkeiten zu spielen. Da war der Garten, der nahe Wald. Wir durften viel ausprobieren. Da war kein Fernseher, der zur Passivität verdammt. Wir hatten viel Möglichkeiten, Kind zu sein und als Kinder zu erleben. Die Psychologie weiß: Wer als Kind gut spielen kann, der wird auch als Erwachsener gut arbeiten. Wer zuviel Zeit vor dem Fernseher oder Computer verbringt, der entwickelt sein Gehirn nicht in angemessener Weise. 

 Helga König
Helga König: Was müsste sich in den Schulen ändern, um Kinder wirklich glücklich zu machen? 

Pater Dr. Anselm Grün: Schulen werden heute oft überfordert. Man erwartet von ihnen, was eigentlich die Eltern leisten müssten. Schulen können nicht alle Defizite des Elternhauses ausgleichen. Aber was eine gute Schule auszeichnet, ist die Atmosphäre von Angenommensein, von Kreativität, von Gemeinschaft. Und die Schulen machen Kinder glücklich, wenn Kinder ihre Fähigkeiten entwickeln können, entweder beim Sport, in der Musik oder beim Theaterspielen. 

Simone Langendörfer: Welche Rolle spielen Eltern beim Thema "Doping für Kinder"? 

Pater Dr. Anselm Grün:. Eltern haben eine zu hohe Erwartung an die Kinder. Oft genug erlebe ich vor allem unsichere Eltern, bei denen die Kinder gleichsam stellvertretend ihre Defizite ausgleichen müssen. Die Kinder müssen perfekt sein, damit die Eltern sich vor den andern nicht blamieren. 

Helga König: Weshalb sind so viele Kinder trotz materiell guter Bedingungen unglücklich? 

Pater Dr. Anselm Grün: Kinder sind unglücklich, weil sie zu wenig Zuwendung erfahren, weil sie zu wenig Kind sein dürfen. Und Kinder sind unglücklich, weil man zuviel von ihnen erwartet. Sie werden nicht gehört, nicht in ihrem Besonderssein wahrgenommen, sondern in ein System gesteckt, in dem sie zu funktionieren haben. 

Simone Langendörfer
Simone Langendörfer: Sollten Eltern den Ärzten mehr misstrauen, wenn es um das Wohl ihrer Kinder geht? 

Pater Dr. Anselm Grün: Im Gespräch mit Ärzten erfahre ich eher, dass die Eltern von den Ärzten zuviel erwarten. Sie möchten, dass jedes Fieber sofort aufhört. Sie können nicht warten, bis eine Erkältung abklingt. Ärzte werden dazu gedrängt, mehr Medikamente zu geben, als sie möchten, weil die Eltern Probleme der Kinder nicht aushalten können. 

Helga König: Was denken und empfinden Sie, wenn Sie ein depressives, ein verträumtes oder ein extrem aufgedrehtes Kind erleben?

Pater Dr. Anselm Grün:   Wenn ich ein depressives Kind sehe, spüre ich Mitleid. Ich möchte mit ihm sprechen, damit es von seiner Not erzählen kann, damit es gehört wird. Wenn ich ein verträumtes Kind sehe, dann lasse ich es träumen, dann denke ich: Es ist gut, dass es träumt. Ich werde es nach seinen Träumen fragen. Aber dann werde ich natürlich auch mit ihm besprechen, wie es seinen Alltag meistert. Ich würde seine Träume bestätigen, aber dann dazu einladen, auch Lust am Alltag zu haben. Wenn ich einem extrem aufgedrehten Kind begegne, werde ich mich erst einmal über die Kraft spüren, die in dem Kind ist. Aber dann werde ich mit ihm anschauen, wie diese Kraft in gute Bahnen gelenkt werden kann. Sie braucht eine Richtung, sonst geht sie vor lauter Überdrehtsein verloren.

Simone Langendörfer: Was könnten Eltern, Lehrer und die Politik tun, damit Kindern das Lernen wieder Freude bereitet?

Pater Dr. Anselm Grün:  Zunächst sollen die Kinder spüren, dass sie nicht schon im Kindergarten für die Zwecke der Wirtschaft ausgenutzt werden. Sie sollen den Freiraum des Kindes genießen. Und dann geht es darum, richtig zu lernen, Lust am Lernen zu vermitteln. Da ist einmal die Art und Weise, wie ich lerne. Es ist wichtig, in einem guten Rhythmus zu lernen. Ich habe als Schüler nie länger als eine halbe Stunde an einem Fach gelernt, aber die Abwechslung hat mir Spaß gemacht und mich davor bewahrt, zu schnell müde zu werden. Und dann braucht es die Lust, etwas zu entdecken, die Neugier zu befriedigen, kreativ zu sein. 

Helga König: Gibt es in Deutschland eine "Armut an Liebe und Geborgenheit"?

Pater Dr. Anselm Grün:  Soweit ich es beurteilen kann, glaube ich schon, dass es in Deutschland eine Armut an Liebe und Geborgenheit gibt. Man will alles optimal regeln. Aber die zweckfreie Liebe erfahren Kinder heute zu wenig. Es gibt durchaus viele Eltern, die sich um Liebe und Geborgenheit bemühen. Manchmal haben die Eltern an sich selbst zu hohe Erwartungen und sind dann enttäuscht, dass sie die eigenen Erwartungen nicht erfüllen können. Es ist wichtig, dass die Eltern auch gut für sich sorgen, damit sie sich mit Freude den Kindern zuwenden können, mit ihnen spielen, mit ihnen ins Gespräch kommen, auf sie hören, auf sie eingehen. 

Simone Langendörfer:  Warum sind gerade in Deutschland so viele Menschen unzufrieden und unglücklich? 

Pater Dr. Anselm Grün: Ich habe den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit ständig zu hohe Normen an das Menschsein, an das Glücklichsein, an das, was ein Mensch darzustellen hat, gestellt werden. Weil der einzelne diesen Erwartungen nicht gerecht werden kann, ist er unglücklich. Viel wichtiger wäre die Kunst zu lernen, sich selbst anzunehmen und sich immer mehr in die einmalige Gestalt hinein zu entwickeln, die Gott jedem einzelnen zugedacht

Lieber Pater Anselm, wir danken Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König, Ihre Simone Langendörfer

Hier der Link zu  Webesite von Pater dr. Anselm Grün. http://www.anselmgruen.de/

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